ТОП авторов и книг     ИСКАТЬ КНИГУ В БИБЛИОТЕКЕ

А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  AZ

 

Bei dem heutigen Wetter war es allerdings verstдndlicher als sonst. Auch im Dom schien es leer zu sein, es fiel natьrlich niemandem ein, jetzt hierherzukommen. K. durchlief beide Seitenschiffe, er traf nur ein altes Weib, das, eingehьllt in ein warmes Tuch, vor einem Marienbild kniete und es anblickte. Von weitem sah er dann noch einen hinkenden Diener in einer Mauertьr verschwinden. K. war pьnktlich gekommen, gerade bei seinem Eintritt hatte es zehn geschlagen, der Italiener war aber noch nicht hier. K. ging zum Haupteingang zurьck, stand dort eine Zeitlang unentschlossen und machte dann im Regen einen Rundgang um den Dom, um nachzusehen, ob der Italiener nicht vielleicht bei irgendeinem Seiteneingang warte. Er war nirgends zu finden. Sollte der Direktor etwa die Zeitangabe miЯverstanden haben? Wie konnte man auch diesen Menschen richtig verstehen? Wie es aber auch sein mochte, jedenfalls muЯte K. zumindest eine halbe Stunde auf ihn warten. Da er mьde war, wollte er sich setzen, er ging wieder in den Dom, fand auf einer Stufe einen kleinen, teppichartigen Fetzen, zog ihn mit der FuЯspitze vor eine nahe Bank, wickelte sich fester in seinen Mantel, schlug den Kragen in die Hцhe und setzte sich. Um sich zu zerstreuen, schlug er das Album auf, blдtterte darin ein wenig, muЯte aber bald aufhцren, denn es wurde so dunkel, daЯ er, als er aufblickte, in dem nahen Seitenschiff kaum eine Einzelheit unterscheiden konnte. In der Ferne funkelte auf dem Hauptaltar ein groЯes Dreieck von Kerzenlichtern, K. hдtte nicht mit Bestimmtheit sagen kцnnen, ob er sie schon frьher gesehen hatte. Vielleicht waren sie erst jetzt angezьndet worden. Die Kirchendiener sind berufsmдЯige Schleicher, man bemerkt sie nicht. Als sich K. zufдllig umdrehte, sah er nicht weit hinter sich eine hohe, starke, an einer Sдule befestigte Kerze gleichfalls brennen. So schцn das war, zur Beleuchtung der Altarbilder, die meistens in der Finsternis der Seitenaltдre hingen, war das gдnzlich unzureichend, es vermehrte vielmehr die Finsternis. Es war vom Italiener ebenso vernьnftig als unhцflich gehandelt, daЯ er nicht gekommen war, es wдre nichts zu sehen gewesen, man hдtte sich damit begnьgen mьssen, mit K.s elektrischer Taschenlampe einige Bilder zollweise abzusuchen. Um zu versuchen, was man davon erwarten kцnnte, ging K. zu einer nahen Seitenkapelle, stieg ein paar Stufen bis zu einer niedrigen Marmorbrьstung und, ьber sie vorgebeugt, beleuchtete er mit der Lampe das Altarbild. Stцrend schwebte das ewige Licht davor. Das erste, was K. sah und zum Teil erriet, war ein groЯer, gepanzerter Ritter, der am дuЯersten Rande des Bildes dargestellt war. Er stьtzte sich auf sein Schwert, das er in den kahlen Boden vor sich – nur einige Grashalme kamen hie und da hervor – gestoЯen hatte. Er schien aufmerksam einen Vorgang zu beobachten, der sich vor ihm abspielte. Es war erstaunlich, daЯ er so stehenblieb und sich nicht nдherte. Vielleicht war er dazu bestimmt, Wache zu stehen. K., der schon lange keine Bilder gesehen hatte, betrachtete den Ritter lдngere Zeit, obwohl er immerfort mit den Augen zwinkern muЯte, da er das grьne Licht der Lampe nicht vertrug. Als er dann das Licht ьber den ьbrigen Teil des Bildes streichen lieЯ, fand er eine Grablegung Christi in gewцhnlicher Auffassung, es war ьbrigens ein neueres Bild. Er steckte die Lampe ein und kehrte wieder zu seinem Platz zurьck.
Es war nun schon wahrscheinlich unnцtig, auf den Italiener zu warten, drauЯen war aber gewiЯ strцmender Regen, und da es hier nicht so kalt war, wie K. erwartet hatte, beschloЯ er, vorlдufig hierzubleiben. In seiner Nachbarschaft war die groЯe Kanzel, auf ihrem kleinen, runden Dach waren halb liegend zwei leere, goldene Kreuze angebracht, die einander mit ihrer дuЯersten Spitze ьberquerten. Die AuЯenwand der Brьstung und der Ьbergang zur tragenden Sдule war von grьnem Laubwerk gebildet, in das kleine Engel griffen, bald lebhaft, bald ruhend. K. trat vor die Kanzel und untersuchte sie von allen Seiten, die Bearbeitung des Steines war ьberaus sorgfдltig, das tiefe Dunkel zwischen dem Laubwerk und hinter ihm schien wie eingefangen und festgehalten, K. legte seine Hand in eine solche Lьcke und tastete dann den Stein vorsichtig ab, von dem Dasein dieser Kanzel hatte er bisher gar nicht gewuЯt. Da bemerkte er zufдllig hinter der nдchsten Bankreihe einen Kirchendiener, der dort in einem hдngenden, faltigen, schwarzen Rock stand, in der linken Hand eine Schnupftabakdose hielt und ihn betrachtete. Was will denn der Mann? dachte K. Bin ich ihm verdдchtig? Will er ein Trinkgeld? Als sich aber nun der Kirchendiener von K. bemerkt sah, zeigte er mit der Rechten, zwischen zwei Fingern hielt er noch eine Prise Tabak, in irgendeiner unbestimmten Richtung. Sein Benehmen war fast unverstдndlich, K. wartete noch ein Weilchen, aber der Kirchendiener hцrte nicht auf, mit der Hand etwas zu zeigen und bekrдftigte es noch durch Kopfnicken. »Was will er denn?« fragte K. leise, er wagte es nicht, hier zu rufen; dann aber zog er die Geldtasche und drдngte sich durch die nдchste Bank, um zu dem Mann zu kommen. Doch dieser machte sofort eine abwehrende Bewegung mit der Hand, zuckte die Schultern und hinkte davon. Mit einer дhnlichen Gangart, wie es dieses eilige Hinken war, hatte K. als Kind das Reiten auf Pferden nachzuahmen versucht. »Ein kindischer Alter«, dachte K., »sein Verstand reicht nur noch zum Kirchendienst aus. Wie er stehenbleibt, wenn ich stehe, und wie er lauert, ob ich weitergehen will.« Lдchelnd folgte K. dem Alten durch das ganze Seitenschiff fast bis zur Hцhe des Hauptaltars, der Alte hцrte nicht auf, etwas zu zeigen, aber K. drehte sich absichtlich nicht um, das Zeigen hatte keinen anderen Zweck, als ihn von der Spur des Alten abzubringen. SchlieЯlich lieЯ er wirklich von ihm, er wollte ihn nicht zu sehr дngstigen, auch wollte er die Erscheinung, fьr den Fall, daЯ der Italiener doch noch kommen sollte, nicht ganz verscheuchen.
Als er in das Hauptschiff trat, um seinen Platz zu suchen, auf dem er das Album liegengelassen hatte, bemerkte er an einer Sдule, fast angrenzend an die Bдnke des Altarchors, eine kleine Nebenkanzel, ganz einfach, aus kahlem, bleichem Stein. Sie war so klein, daЯ sie aus der Ferne wie eine noch leere Nische erschien, die fьr die Aufnahme einer Heiligenstatue bestimmt war. Der Prediger konnte gewiЯ keinen vollen Schritt von der Brьstung zurьcktreten. AuЯerdem begann die steinerne Einwцlbung der Kanzel ungewцhnlich tief und stieg, zwar ohne jeden Schmuck, aber derartig geschweift in die Hцhe, daЯ ein mittelgroЯer Mann dort nicht aufrecht stehen konnte, sondern sich dauernd ьber die Brьstung vorbeugen muЯte. Das Ganze war wie zur Qual des Predigers bestimmt, es war unverstдndlich, wozu man diese Kanzel benцtigte, da man doch die andere, groЯe und so kunstvoll geschmьckte zur Verfьgung hatte.
K. wдre auch diese kleine Kanzel gewiЯ nicht aufgefallen, wenn nicht oben eine Lampe befestigt gewesen wдre, wie man sie kurz vor einer Predigt bereitzustellen pflegt. Sollte jetzt etwa eine Predigt stattfinden? In der leeren Kirche? K. sah an der Treppe hinab, die an die Sдule sich anschmiegend zur Kanzel fьhrte und so schmal war, als sollte sie nicht fьr Menschen, sondern nur zum Schmuck der Sдule dienen. Aber unten an der Kanzel, K. lдchelte vor Staunen, stand wirklich der Geistliche, hielt die Hand am Gelдnder, bereit aufzusteigen, und sah auf K. hin. Dann nickte er ganz leicht mit dem Kopf, worauf K. sich bekreuzigte und verbeugte, was er schon frьher hдtte tun sollen. Der Geistliche gab sich einen kleinen Aufschwung und stieg mit kurzen, schnellen Schritten die Kanzel hinauf. Sollte wirklich eine Predigt beginnen? War vielleicht der Kirchendiener doch nicht so ganz vom Verstand verlassen und hatte K. dem Prediger zutreiben wollen, was allerdings in der leeren Kirche дuЯerst notwendig gewesen war? Ьbrigens gab es ja noch irgendwo vor einem Marienbild ein altes Weib, das auch hдtte kommen sollen. Und wenn es schon eine Predigt sein sollte, warum wurde sie nicht von der Orgel eingeleitet? Aber die blieb still und blinkte nur schwach aus der Finsternis ihrer groЯen Hцhe.
K. dachte daran, ob er sich jetzt nicht eiligst entfernen sollte, wenn er es jetzt nicht tat, war keine Aussicht, daЯ er es wдhrend der Predigt tun kцnnte, er muЯte dann bleiben, solange sie dauerte, im Bьro verlor er soviel Zeit, auf den Italiener zu warten, war er lдngst nicht mehr verpflichtet, er sah auf seine Uhr, es war elf. Aber konnte denn wirklich gepredigt werden? Konnte K. allein die Gemeinde darstellen? Wie, wenn er ein Fremder gewesen wдre, der nur die Kirche besichtigen wollte? Im Grunde war er auch nichts anderes. Es war unsinnig, daran zu denken, daЯ gepredigt werden sollte, jetzt um elf Uhr, an einem Werktag, bei grдЯlichstem Wetter. Der Geistliche – ein Geistlicher war es zweifellos, ein junger Mann mit glattem, dunklem Gesicht – ging offenbar nur hinauf, um die Lampe zu lцschen, die irrtьmlich angezьndet worden war.
Es war aber nicht so, der Geistliche prьfte vielmehr das Licht und schraubte es noch ein wenig auf, dann drehte er sich langsam der Brьstung zu, die er vom an der kantigen Einfassung mit beiden Hдnden erfaЯte. So stand er eine Zeitlang und blickte, ohne den Kopf zu rьhren, umher. K. war ein groЯes Stьck zurьckgewichen und lehnte mit den Ellbogen an der vordersten Kirchenbank. Mit unsicheren Augen sah er irgendwo, ohne den Ort genau zu bestimmen, den Kirchendiener, mit krummem Rьcken, friedlich, wie nach beendeter Aufgabe, sich zusammenkauern. Was fьr eine Stille herrschte jetzt im Dom! Aber K. muЯte sie stцren, er hatte nicht die Absicht, hierzubleiben; wenn es die Pflicht des Geistlichen war, zu einer bestimmten Stunde, ohne Rьcksicht auf die Umstдnde, zu predigen, so mochte er es tun, es wьrde auch ohne K.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46

ТОП авторов и книг     ИСКАТЬ КНИГУ В БИБЛИОТЕКЕ    

Рубрики

Рубрики