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Er ging zum Fenster, setzte sich auf die Brьstung, hielt sich mit der Hand an der Klinke fest und sah auf den Platz hinaus. Der Schnee fiel noch immer, es hatte sich noch gar nicht aufgehellt.
Lange saЯ er so, ohne zu wissen, was ihm eigentlich Sorgen machte, nur von Zeit zu Zeit blickte er ein wenig erschreckt ьber die Schulter hinweg zur Vorzimmertьr, wo er irrtьmlicherweise ein Gerдusch zu hцren geglaubt hatte. Da aber niemand kam, wurde er ruhiger, ging zum Waschtisch, wusch sich mit kaltem Wasser und kehrte mit freierem Kopf zu seinem Fensterplatz zurьck. Der EntschluЯ, seine Verteidigung selbst in die Hand zu nehmen, stellte sich ihm schwerwiegender dar, als er ursprьnglich angenommen hatte. Solange er die Verteidigung auf den Advokaten ьberwдlzt hatte, war er doch noch vom ProzeЯ im Grunde wenig betroffen gewesen, er hatte ihn von der Ferne beobachtet und hatte unmittelbar von ihm kaum erreicht werden kцnnen, er hatte nachsehen kцnnen, wann er wollte, wie seine Sache stand, aber er hatte auch den Kopf wieder zurьckziehen kцnnen, wann er wollte. Jetzt hingegen, wenn er seine Verteidigung selbst fьhren wьrde, muЯte er sich – wenigstens fьr den Augenblick – ganz und gar dem Gericht aussetzen, der Erfolg dessen sollte ja fьr spдter seine vollstдndige und endgьltige Befreiung sein, aber um diese zu erreichen, muЯte er sich vorlдufig jedenfalls in viel grцЯere Gefahr begeben als bisher. Hдtte er daran zweifeln wollen, so hдtte ihn das heutige Beisammensein mit dem Direktor-Stellvertreter und dem Fabrikanten hinreichend vom Gegenteil ьberzeugen kцnnen. Wie war er doch dagesessen, schon vom bloЯen EntschluЯ, sich selbst zu verteidigen, gдnzlich benommen? Wie sollte es aber spдter werden? Was fьr Tage standen ihm bevor! Wьrde er den Weg finden, der durch alles hindurch zum guten Ende fьhrte? Bedeutete nicht eine sorgfдltige Verteidigung – und alles andere war sinnlos –, bedeutete nicht eine sorgfдltige Verteidigung gleichzeitig die Notwendigkeit, sich von allem anderen mцglichst abzuschlieЯen? Wьrde er das glьcklich ьberstehen? Und wie sollte ihm die Durchfьhrung dessen in der Bank gelingen? Es handelte sich ja nicht nur um die Eingabe, fьr die ein Urlaub vielleicht genьgt hдtte, obwohl die Bitte um einen Urlaub gerade jetzt ein groЯes Wagnis gewesen wдre, es handelte sich doch um einen ganzen ProzeЯ, dessen Dauer unabsehbar war. Was fьr ein Hindernis war plцtzlich in K.s Laufbahn geworfen worden!
Und jetzt sollte er fьr die Bank arbeiten? – Er sah auf den Schreibtisch hin. – Jetzt sollte er Parteien vorlassen und mit ihnen verhandeln? Wдhrend sein ProzeЯ weiterrollte, wдhrend oben auf dem Dachboden die Gerichtsbeamten ьber den Schriften dieses Prozesses saЯen, sollte er die Geschдfte der Bank besorgen? Sah es nicht aus wie eine Folter, die, vom Gericht anerkannt, mit dem ProzeЯ zusammenhing und ihn begleitete? Und wьrde man etwa in der Bank bei der Beurteilung seiner Arbeit seine besondere Lage berьcksichtigen? Niemand und niemals. Ganz unbekannt war ja sein ProzeЯ nicht, wenn es auch noch nicht ganz klar war, wer davon wuЯte und wieviel. Bis zum Direktor-Stellvertreter aber war das Gerьcht hoffentlich noch nicht gedrungen, sonst hдtte man schon deutlich sehen mьssen, wie er es ohne jede Kollegialitдt und Menschlichkeit gegen K. ausnьtzen wьrde. Und der Direktor? GewiЯ, er war K. gut gesinnt, und er hдtte wahrscheinlich, sobald er vom ProzeЯ erfahren hдtte, soweit es an ihm lag, manche Erleichterungen fьr K. schaffen wollen, aber er wдre damit gewiЯ nicht durchgedrungen, denn er unterlag jetzt, da das Gegengewicht, das K. bisher gebildet hatte, schwдcher zu werden anfing, immer mehr dem EinfluЯ des Direktor-Stellvertreters, der auЯerdem auch den leidenden Zustand des Direktors zur Stдrkung der eigenen Macht ausnьtzte. Was hatte also K. zu erhoffen? Vielleicht schwдchte er durch solche Ьberlegungen seine Widerstandskraft, aber es war doch auch notwendig, sich selbst nicht zu tдuschen und alles so klar zu sehen, als es augenblicklich mцglich war.
Ohne besonderen Grund, nur um vorlдufig noch nicht zum Schreibtisch zurьckkehren zu mьssen, цffnete er das Fenster. Es lieЯ sich nur schwer цffnen, er muЯte mit beiden Hдnden die Klinke drehen. Dann zog durch das Fenster in dessen ganzer Breite und Hцhe der mit Rauch vermischte Nebel in das Zimmer und fьllte es mit einem leichten Brandgeruch. Auch einige Schneeflocken wurden hereingeweht. »Ein hдЯlicher Herbst«, sagte hinter K. der Fabrikant, der vom Direktor-Stellvertreter kommend unbemerkt ins Zimmer getreten war. K. nickte und sah unruhig auf die Aktentasche des Fabrikanten, aus der dieser nun wohl die Papiere herausziehen wьrde, um K. das Ergebnis der Verhandlungen mit dem Direktor-Stellvertreter mitzuteilen. Der Fabrikant aber folgte K.s Blick, klopfte auf seine Tasche und sagte, ohne sie zu цffnen: »Sie wollen hцren, wie es ausgefallen ist. Ich trage schon fast den GeschдftsabschluЯ in der Tasche. Ein reizender Mensch, Ihr Direktor-Stellvertreter, aber durchaus nicht ungefдhrlich.« Er lachte, schьttelte K.s Hand und wollte auch ihn zum Lachen bringen. Aber K. schien es nun wieder verdдchtig, daЯ ihm der Fabrikant die Papier nicht zeigen wollte, und er fand an der Bemerkung des Fabrikanten nichts zum Lachen. »Herr Prokurist«, sagte der Fabrikant, »Sie leiden wohl unter dem Wetter? Sie sehen heute so bedrьckt aus.« »Ja«, sagte K. und griff mit der Hand an die Schlдfe, »Kopfschmerzen, Familiensorgen.« »Sehr richtig«, sagte der Fabrikant, der ein eiliger Mensch war und niemanden ruhig anhцren konnte, »jeder hat sein Kreuz zu tragen.« Unwillkьrlich hatte K. einen Schritt gegen die Tьr gemacht, als wolle er den Fabrikanten hinausbegleiten, dieser aber sagte: »Ich hдtte, Herr Prokurist, noch eine kleine Mitteilung fьr Sie. Ich fьrchte sehr, daЯ ich Sie gerade heute damit vielleicht belдstige, aber ich war schon zweimal in der letzten Zeit bei Ihnen und habe es jedesmal vergessen. Schiebe ich es aber noch weiterhin auf, verliert es wahrscheinlich vollstдndig seinen Zweck. Das wдre aber schade, denn im Grunde ist meine Mitteilung vielleicht doch nicht wertlos.« Ehe K. Zeit hatte zu antworten, trat der Fabrikant nahe an ihn heran, klopfte mit dem Fingerknцchel leicht an seine Brust und sagte leise: »Sie haben einen ProzeЯ, nicht wahr?« K. trat zurьck und rief sofort: »Das hat Ihnen der Direktor-Stellvertreter gesagt!« »Ach nein«, sagte der Fabrikant, »woher sollte denn der Direktor-Stellvertreter es wissen?« »Und Sie?« fragte K. schon viel gefaЯter. »Ich erfahre hie und da etwas von dem Gericht«, sagte der Fabrikant, »das betrifft eben die Mitteilung, die ich Ihnen machen wollte.« »So viel Leute sind mit dem Gericht in Verbindung!« sagte K. mit gesenktem Kopf und fьhrte den Fabrikanten zum Schreibtisch. Sie setzten sich wieder wie frьher und der Fabrikant sagte: »Es ist leider nicht sehr viel, was ich Ihnen mitteilen kann. Aber in solchen Dingen soll man nicht das geringste vernachlдssigen. AuЯerdem drдngt es mich aber, Ihnen irgendwie zu helfen, und sei meine Hilfe noch so bescheiden. Wir waren doch bisher gute Geschдftsfreunde, nicht? Nun also.« K. wollte sich wegen seines Verhaltens bei der heutigen Besprechung entschuldigen, aber der Fabrikant duldete keine Unterbrechung, schob die Aktentasche hoch unter die Achsel, um zu zeigen, daЯ er Eile habe, und fuhr fort: »Von Ihrem ProzeЯ weiЯ ich durch einen gewissen Titorelli. Es ist ein Maler, Titorelli ist nur sein Kьnstlername, seinen wirklichen Namen kenne ich gar nicht einmal. Er kommt schon seit Jahren von Zeit zu Zeit in mein Bьro und bringt kleine Bilder mit, fьr die ich ihm – er ist fast ein Bettler – immer eine Art Almosen gebe. Es sind ьbrigens hьbsche Bilder, Heidelandschaften und dergleichen. Diese Verkдufe – wir hatten uns schon beide daran gewцhnt – gingen ganz glatt vor sich. Einmal aber wiederholten sich diese Besuche doch zu oft, ich machte ihm Vorwьrfe, wir kamen ins Gesprдch, es interessierte mich, wie er sich allein durch Malen erhalten kцnne, und ich erfuhr nun zu meinem Staunen, daЯ seine Haupteinnahmequelle das Portrдtmalen sei. ›Er arbeite fьr das Gericht‹, sagte er. ›Fьr welches Gericht‹? fragte ich. Und nun erzдhlte er mir von dem Gericht. Sie werden sich wohl am besten vorstellen kцnnen, wie erstaunt ich ьber diese Erzдhlungen war. Seitdem hцre ich bei jedem seiner Besuche irgendwelche Neuigkeiten vom Gericht und bekomme so allmдhlich einen gewissen Einblick in die Sache. Allerdings ist Titorelli geschwдtzig, und ich muЯ ihn oft abwehren, nicht nur, weil er gewiЯ auch lьgt, sondern vor allem, weil ein Geschдftsmann wie ich, der unter den eigenen Geschдftssorgen fast zusammenbricht, sich nicht noch viel um fremde Dinge kьmmern kann. Aber das nur nebenbei. Vielleicht – so dachte ich jetzt – kann Ihnen Titorelli ein wenig behilflich sein, er kennt viele Richter, und wenn er selbst auch keinen groЯen EinfluЯ haben sollte, so kann er Ihnen doch Ratschlдge geben, wie man verschiedenen einfluЯreichen Leuten beikommen kann. Und wenn auch diese Ratschlдge an und fьr sich nicht entscheidend sein sollten, so werden sie doch, meiner Meinung nach, in Ihrem Besitz von groЯer Bedeutung sein. Sie sind ja fast ein Advokat. Ich pflege immer zu sagen: Prokurist K. ist fast ein Advokat. Oh, ich habe keine Sorgen wegen Ihres Prozesses. Wollen Sie nun aber zu Titorelli gehen? Auf meine Empfehlung hin wird er gewiЯ alles tun, was ihm mцglich ist. Ich denke wirklich, Sie sollten hingehen. Es muЯ natьrlich nicht heute sein, einmal, gelegentlich. Allerdings sind Sie – das will ich noch sagen – dadurch, daЯ ich Ihnen diesen Rat gebe, nicht im geringsten verpflichtet, auch wirklich zu Titorelli hinzugehen. Nein, wenn Sie Titorelli entbehren zu kцnnen glauben, ist es gewiЯ besser, ihn ganz beiseite zu lassen.
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Lange saЯ er so, ohne zu wissen, was ihm eigentlich Sorgen machte, nur von Zeit zu Zeit blickte er ein wenig erschreckt ьber die Schulter hinweg zur Vorzimmertьr, wo er irrtьmlicherweise ein Gerдusch zu hцren geglaubt hatte. Da aber niemand kam, wurde er ruhiger, ging zum Waschtisch, wusch sich mit kaltem Wasser und kehrte mit freierem Kopf zu seinem Fensterplatz zurьck. Der EntschluЯ, seine Verteidigung selbst in die Hand zu nehmen, stellte sich ihm schwerwiegender dar, als er ursprьnglich angenommen hatte. Solange er die Verteidigung auf den Advokaten ьberwдlzt hatte, war er doch noch vom ProzeЯ im Grunde wenig betroffen gewesen, er hatte ihn von der Ferne beobachtet und hatte unmittelbar von ihm kaum erreicht werden kцnnen, er hatte nachsehen kцnnen, wann er wollte, wie seine Sache stand, aber er hatte auch den Kopf wieder zurьckziehen kцnnen, wann er wollte. Jetzt hingegen, wenn er seine Verteidigung selbst fьhren wьrde, muЯte er sich – wenigstens fьr den Augenblick – ganz und gar dem Gericht aussetzen, der Erfolg dessen sollte ja fьr spдter seine vollstдndige und endgьltige Befreiung sein, aber um diese zu erreichen, muЯte er sich vorlдufig jedenfalls in viel grцЯere Gefahr begeben als bisher. Hдtte er daran zweifeln wollen, so hдtte ihn das heutige Beisammensein mit dem Direktor-Stellvertreter und dem Fabrikanten hinreichend vom Gegenteil ьberzeugen kцnnen. Wie war er doch dagesessen, schon vom bloЯen EntschluЯ, sich selbst zu verteidigen, gдnzlich benommen? Wie sollte es aber spдter werden? Was fьr Tage standen ihm bevor! Wьrde er den Weg finden, der durch alles hindurch zum guten Ende fьhrte? Bedeutete nicht eine sorgfдltige Verteidigung – und alles andere war sinnlos –, bedeutete nicht eine sorgfдltige Verteidigung gleichzeitig die Notwendigkeit, sich von allem anderen mцglichst abzuschlieЯen? Wьrde er das glьcklich ьberstehen? Und wie sollte ihm die Durchfьhrung dessen in der Bank gelingen? Es handelte sich ja nicht nur um die Eingabe, fьr die ein Urlaub vielleicht genьgt hдtte, obwohl die Bitte um einen Urlaub gerade jetzt ein groЯes Wagnis gewesen wдre, es handelte sich doch um einen ganzen ProzeЯ, dessen Dauer unabsehbar war. Was fьr ein Hindernis war plцtzlich in K.s Laufbahn geworfen worden!
Und jetzt sollte er fьr die Bank arbeiten? – Er sah auf den Schreibtisch hin. – Jetzt sollte er Parteien vorlassen und mit ihnen verhandeln? Wдhrend sein ProzeЯ weiterrollte, wдhrend oben auf dem Dachboden die Gerichtsbeamten ьber den Schriften dieses Prozesses saЯen, sollte er die Geschдfte der Bank besorgen? Sah es nicht aus wie eine Folter, die, vom Gericht anerkannt, mit dem ProzeЯ zusammenhing und ihn begleitete? Und wьrde man etwa in der Bank bei der Beurteilung seiner Arbeit seine besondere Lage berьcksichtigen? Niemand und niemals. Ganz unbekannt war ja sein ProzeЯ nicht, wenn es auch noch nicht ganz klar war, wer davon wuЯte und wieviel. Bis zum Direktor-Stellvertreter aber war das Gerьcht hoffentlich noch nicht gedrungen, sonst hдtte man schon deutlich sehen mьssen, wie er es ohne jede Kollegialitдt und Menschlichkeit gegen K. ausnьtzen wьrde. Und der Direktor? GewiЯ, er war K. gut gesinnt, und er hдtte wahrscheinlich, sobald er vom ProzeЯ erfahren hдtte, soweit es an ihm lag, manche Erleichterungen fьr K. schaffen wollen, aber er wдre damit gewiЯ nicht durchgedrungen, denn er unterlag jetzt, da das Gegengewicht, das K. bisher gebildet hatte, schwдcher zu werden anfing, immer mehr dem EinfluЯ des Direktor-Stellvertreters, der auЯerdem auch den leidenden Zustand des Direktors zur Stдrkung der eigenen Macht ausnьtzte. Was hatte also K. zu erhoffen? Vielleicht schwдchte er durch solche Ьberlegungen seine Widerstandskraft, aber es war doch auch notwendig, sich selbst nicht zu tдuschen und alles so klar zu sehen, als es augenblicklich mцglich war.
Ohne besonderen Grund, nur um vorlдufig noch nicht zum Schreibtisch zurьckkehren zu mьssen, цffnete er das Fenster. Es lieЯ sich nur schwer цffnen, er muЯte mit beiden Hдnden die Klinke drehen. Dann zog durch das Fenster in dessen ganzer Breite und Hцhe der mit Rauch vermischte Nebel in das Zimmer und fьllte es mit einem leichten Brandgeruch. Auch einige Schneeflocken wurden hereingeweht. »Ein hдЯlicher Herbst«, sagte hinter K. der Fabrikant, der vom Direktor-Stellvertreter kommend unbemerkt ins Zimmer getreten war. K. nickte und sah unruhig auf die Aktentasche des Fabrikanten, aus der dieser nun wohl die Papiere herausziehen wьrde, um K. das Ergebnis der Verhandlungen mit dem Direktor-Stellvertreter mitzuteilen. Der Fabrikant aber folgte K.s Blick, klopfte auf seine Tasche und sagte, ohne sie zu цffnen: »Sie wollen hцren, wie es ausgefallen ist. Ich trage schon fast den GeschдftsabschluЯ in der Tasche. Ein reizender Mensch, Ihr Direktor-Stellvertreter, aber durchaus nicht ungefдhrlich.« Er lachte, schьttelte K.s Hand und wollte auch ihn zum Lachen bringen. Aber K. schien es nun wieder verdдchtig, daЯ ihm der Fabrikant die Papier nicht zeigen wollte, und er fand an der Bemerkung des Fabrikanten nichts zum Lachen. »Herr Prokurist«, sagte der Fabrikant, »Sie leiden wohl unter dem Wetter? Sie sehen heute so bedrьckt aus.« »Ja«, sagte K. und griff mit der Hand an die Schlдfe, »Kopfschmerzen, Familiensorgen.« »Sehr richtig«, sagte der Fabrikant, der ein eiliger Mensch war und niemanden ruhig anhцren konnte, »jeder hat sein Kreuz zu tragen.« Unwillkьrlich hatte K. einen Schritt gegen die Tьr gemacht, als wolle er den Fabrikanten hinausbegleiten, dieser aber sagte: »Ich hдtte, Herr Prokurist, noch eine kleine Mitteilung fьr Sie. Ich fьrchte sehr, daЯ ich Sie gerade heute damit vielleicht belдstige, aber ich war schon zweimal in der letzten Zeit bei Ihnen und habe es jedesmal vergessen. Schiebe ich es aber noch weiterhin auf, verliert es wahrscheinlich vollstдndig seinen Zweck. Das wдre aber schade, denn im Grunde ist meine Mitteilung vielleicht doch nicht wertlos.« Ehe K. Zeit hatte zu antworten, trat der Fabrikant nahe an ihn heran, klopfte mit dem Fingerknцchel leicht an seine Brust und sagte leise: »Sie haben einen ProzeЯ, nicht wahr?« K. trat zurьck und rief sofort: »Das hat Ihnen der Direktor-Stellvertreter gesagt!« »Ach nein«, sagte der Fabrikant, »woher sollte denn der Direktor-Stellvertreter es wissen?« »Und Sie?« fragte K. schon viel gefaЯter. »Ich erfahre hie und da etwas von dem Gericht«, sagte der Fabrikant, »das betrifft eben die Mitteilung, die ich Ihnen machen wollte.« »So viel Leute sind mit dem Gericht in Verbindung!« sagte K. mit gesenktem Kopf und fьhrte den Fabrikanten zum Schreibtisch. Sie setzten sich wieder wie frьher und der Fabrikant sagte: »Es ist leider nicht sehr viel, was ich Ihnen mitteilen kann. Aber in solchen Dingen soll man nicht das geringste vernachlдssigen. AuЯerdem drдngt es mich aber, Ihnen irgendwie zu helfen, und sei meine Hilfe noch so bescheiden. Wir waren doch bisher gute Geschдftsfreunde, nicht? Nun also.« K. wollte sich wegen seines Verhaltens bei der heutigen Besprechung entschuldigen, aber der Fabrikant duldete keine Unterbrechung, schob die Aktentasche hoch unter die Achsel, um zu zeigen, daЯ er Eile habe, und fuhr fort: »Von Ihrem ProzeЯ weiЯ ich durch einen gewissen Titorelli. Es ist ein Maler, Titorelli ist nur sein Kьnstlername, seinen wirklichen Namen kenne ich gar nicht einmal. Er kommt schon seit Jahren von Zeit zu Zeit in mein Bьro und bringt kleine Bilder mit, fьr die ich ihm – er ist fast ein Bettler – immer eine Art Almosen gebe. Es sind ьbrigens hьbsche Bilder, Heidelandschaften und dergleichen. Diese Verkдufe – wir hatten uns schon beide daran gewцhnt – gingen ganz glatt vor sich. Einmal aber wiederholten sich diese Besuche doch zu oft, ich machte ihm Vorwьrfe, wir kamen ins Gesprдch, es interessierte mich, wie er sich allein durch Malen erhalten kцnne, und ich erfuhr nun zu meinem Staunen, daЯ seine Haupteinnahmequelle das Portrдtmalen sei. ›Er arbeite fьr das Gericht‹, sagte er. ›Fьr welches Gericht‹? fragte ich. Und nun erzдhlte er mir von dem Gericht. Sie werden sich wohl am besten vorstellen kцnnen, wie erstaunt ich ьber diese Erzдhlungen war. Seitdem hцre ich bei jedem seiner Besuche irgendwelche Neuigkeiten vom Gericht und bekomme so allmдhlich einen gewissen Einblick in die Sache. Allerdings ist Titorelli geschwдtzig, und ich muЯ ihn oft abwehren, nicht nur, weil er gewiЯ auch lьgt, sondern vor allem, weil ein Geschдftsmann wie ich, der unter den eigenen Geschдftssorgen fast zusammenbricht, sich nicht noch viel um fremde Dinge kьmmern kann. Aber das nur nebenbei. Vielleicht – so dachte ich jetzt – kann Ihnen Titorelli ein wenig behilflich sein, er kennt viele Richter, und wenn er selbst auch keinen groЯen EinfluЯ haben sollte, so kann er Ihnen doch Ratschlдge geben, wie man verschiedenen einfluЯreichen Leuten beikommen kann. Und wenn auch diese Ratschlдge an und fьr sich nicht entscheidend sein sollten, so werden sie doch, meiner Meinung nach, in Ihrem Besitz von groЯer Bedeutung sein. Sie sind ja fast ein Advokat. Ich pflege immer zu sagen: Prokurist K. ist fast ein Advokat. Oh, ich habe keine Sorgen wegen Ihres Prozesses. Wollen Sie nun aber zu Titorelli gehen? Auf meine Empfehlung hin wird er gewiЯ alles tun, was ihm mцglich ist. Ich denke wirklich, Sie sollten hingehen. Es muЯ natьrlich nicht heute sein, einmal, gelegentlich. Allerdings sind Sie – das will ich noch sagen – dadurch, daЯ ich Ihnen diesen Rat gebe, nicht im geringsten verpflichtet, auch wirklich zu Titorelli hinzugehen. Nein, wenn Sie Titorelli entbehren zu kцnnen glauben, ist es gewiЯ besser, ihn ganz beiseite zu lassen.
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