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Sie sprach mit dem Kaufmann liebevoll, aber doch auch herablassend, K. gefiel das nicht; wie er jetzt erkannt hatte, hatte der Mann doch einen gewissen Wert, zumindest hatte er Erfahrungen, die er gut mitzuteilen verstand. Leni beurteilte ihn wahrscheinlich unrichtig. Er sah дrgerlich zu, als Leni jetzt dem Kaufmann die Kerze, die er die ganze Zeit ьber festgehalten hatte, abnahm, ihm die Hand mit ihrer Schьrze abwischte und dann neben ihm niederkniete, um etwas Wachs wegzukratzen, das von der Kerze auf seine Hose getropft war. »Sie wollten mir von den Winkeladvokaten erzдhlen«, sagte K. und schob, ohne eine weitere Bemerkung, Lenis Hand weg. »Was willst du denn?« fragte Leni, schlug leicht nach K. und setzte ihr Arbeit fort. »Ja, von den Winkeladvokaten«, sagte der Kaufmann und fuhr sich ьber die Stirn, als denke er nach. K. wollte ihm nachhelfen und sagte: »Sie wollten sofortige Erfolge haben und gingen deshalb zu den Winkeladvokaten.« »Ganz richtig«, sagte der Kaufmann, setzte aber nicht fort. »Er will vielleicht vor Leni nicht davon sprechen«, dachte K., bezwang seine Ungeduld, das Weitere gleich jetzt zu hцren, und drang nun nicht mehr weiter in ihn.
»Hast du mich angemeldet?« fragte er Leni. »Natьrlich«, sagte diese, »er wartet auf dich. LaЯ jetzt Block, mit Block kannst du auch spдter reden, er bleibt doch hier.« K. zцgerte noch. »Sie bleiben hier?« fragte er den Kaufmann, er wollte dessen eigene Antwort, er wollte nicht, daЯ Leni vom Kaufmann wie von einem Abwesenden sprach, er war heute gegen Leni voll geheimen Дrgers. Und wieder antwortete nur Leni: »Er schlдft hier цfters.« »Schlдft hier?« rief K., er hatte gedacht, der Kaufmann werde hier nur auf ihn warten, wдhrend er die Unterredung mit dem Advokaten rasch erledigen wьrde, dann aber wьrden sie gemeinsam fortgehen und alles grьndlich und ungestцrt besprechen. »Ja«, sagte Leni, »nicht jeder wird wie du, Josef, zu beliebiger Stunde beim Advokaten vorgelassen. Du scheinst dich ja gar nicht darьber zu wundern, daЯ dich der Advokat trotz seiner Krankheit noch um elf Uhr nachts empfдngt. Du nimmst das, was deine Freunde fьr dich tun, doch als gar zu selbstverstдndlich an. Nun, deine Freunde oder zumindest ich, tun es gerne. Ich will keinen anderen Dank und brauche auch keinen anderen, als daЯ du mich liebhast.« »Dich liebhaben?« dachte K. im ersten Augenblick, erst dann ging es ihm durch den Kopf: »Nun ja, ich habe sie lieb.« Trotzdem sagte er, alles andere vernachlдssigend: »Er empfдngt mich, weil ich sein Klient bin. Wenn auch dafьr noch fremde Hilfe nцtig wдre, mьЯte man bei jedem Schritt immer gleichzeitig betteln und danken.« »Wie schlimm er heute ist, nicht?« fragte Leni den Kaufmann. »Jetzt bin ich der Abwesende«, dachte K. und wurde fast sogar auf den Kaufmann bцse, als dieser, die Unhцflichkeit Lenis ьbernehmend, sagte: »Der Advokat empfдngt ihn auch noch aus anderen Grьnden. Sein Fall ist nдmlich interessanter als der meine. AuЯerdem aber ist sein ProzeЯ in den Anfдngen, also wahrscheinlich noch nicht sehr verfahren, da beschдftigt sich der Advokat noch gern mit ihm. Spдter wird das anders werden.« »Ja, ja«, sagte Leni und sah den Kaufmann lachend an, »wie er schwatzt! Ihm darfst du nдmlich«, hierbei wandte sie sich an K., »gar nichts glauben. So lieb er ist, so geschwдtzig ist er. Vielleicht mag ihn der Advokat auch deshalb nicht leiden, Jedenfalls empfдngt er ihn nur, wenn er in Laune ist. Ich habe mir schon viel Mьhe gegeben, das zu дndern, aber es ist unmцglich. Denke nur, manchmal melde ich Block an, er empfдngt ihn aber erst am dritten Tag nachher. Ist Block aber zu der Zeit, wenn er vorgerufen wird, nicht zur Stelle, so ist alles verloren und er muЯ von neuem angemeldet werden. Deshalb habe ich Block erlaubt, hier zu schlafen, es ist ja schon vorgekommen, daЯ er in der Nacht um ihn gelдutet hat. Jetzt ist also Block auch in der Nacht bereit. Allerdings geschieht es jetzt wieder, daЯ der Advokat, wenn es sich zeigt, daЯ Block da ist, seinen Auftrag, ihn vorzulassen, manchmal widerruft.« K. sah fragend zum Kaufmann hin. Dieser nickte und sagte, so offen wie er frьher mit K. gesprochen hatte, vielleicht war er zerstreut vor Beschдmung: »Ja, man wird spдter sehr abhдngig von seinem Advokaten.« »Er klagt ja nur zum Schein«, sagte Leni. »Er schlдft ja hier sehr gern, wie er mir schon oft gestanden hat.« Sie ging zu einer kleinen Tьr und stieЯ sie auf. »Willst du sein Schlafzimmer sehen?« fragte sie. K. ging hin und sah von der Schwelle aus in den niedrigen fensterlosen Raum, der von einem schmalen Bett vollstдndig ausgefьllt war. In dieses Bett muЯte man ьber den Bettpfosten steigen. Am Kopfende des Bettes war eine Vertiefung in der Mauer, dort standen, peinlich geordnet, eine Kerze, TintenfaЯ und Feder sowie ein Bьndel Papiere, wahrscheinlich ProzeЯschriften. »Sie schlafen im Dienstmдdchenzimmer?« fragte K. und wendete sich zum Kaufmann zurьck. »Leni hat es mir eingerдumt«, antwortete der Kaufmann, »es ist sehr vorteilhaft.« K. sah ihn lange an; der erste Eindruck, den er von dem Kaufmann erhalten hatte, war vielleicht doch der richtige gewesen; Erfahrungen hatte er, denn sein ProzeЯ dauerte schon lange, aber er hatte diese Erfahrungen teuer bezahlt. Plцtzlich ertrug K. den Anblick des Kaufmanns nicht mehr. »Bring ihn doch ins Bett!« rief er Leni zu, die ihn gar nicht zu verstehen schien. Er selbst aber wollte zum Advokaten gehen und durch die Kьndigung sich nicht nur vom Advokaten, sondern auch von Leni und dem Kaufmann befreien. Aber noch ehe er zur Tьr gekommen war, sprach ihn der Kaufmann mit leiser Stimme an: »Herr Prokurist«, K. wandte sich mit bцsem Gesicht um. »Sie haben Ihr Versprechen vergessen«, sagte der Kaufmann und streckte sich von seinem Sitz aus bittend K. entgegen. »Sie wollten mir noch ein Geheimnis sagen.« »Wahrhaftig«, sagte K. und streifte auch Leni, die ihn aufmerksam ansah, mit einem Blick, »also hцren Sie: es ist allerdings fast kein Geheimnis mehr. Ich gehe jetzt zum Advokaten, um ihn zu entlassen.« »Er entlдЯt ihn!« rief der Kaufmann, sprang vom Sessel und lief mit erhobenen Armen in der Kьche umher. Immer wieder rief er: »Er entlдЯt den Advokaten!« Leni wollte gleich auf K. losfahren, aber der Kaufmann kam ihr in den Weg, wofьr sie ihm mit den Fдusten einen Hieb gab. Noch mit den zu Fдusten geballten Hдnden lief sie dann hinter K., der aber einen groЯen Vorsprung hatte. Er war schon in das Zimmer des Advokaten eingetreten, als ihn Leni einholte. Die Tьr hatte er hinter sich fast geschlossen, aber Leni, die mit dem FuЯ den Tьrflьgel offenhielt, faЯte ihn beim Arm und wollte ihn zurьckziehen. Aber er drьckte ihr Handgelenk so stark, daЯ sie unter einem Seufzer ihn loslassen muЯte. Ins Zimmer einzutreten, wagte sie nicht gleich, K. aber versperrte die Tьr mit dem Schlьssel.
»Ich warte schon sehr lange auf Sie«, sagte der Advokat vom Bett aus, legte ein Schriftstьck, das er beim Licht einer Kerze gelesen hatte, auf das Nachttischchen und setzte sich eine Brille auf, mit der er K. scharf ansah. Statt sich zu entschuldigen, sagte K.: »Ich gehe bald wieder weg.« Der Advokat hatte K.s Bemerkung, weil sie keine Entschuldigung war, unbeachtet gelassen und sagte: »Ich werde Sie nдchstens zu dieser spдten Stunde nicht mehr vorlassen.« »Das kommt meinem Anliegen entgegen«, sagte K. Der Advokat sah ihn fragend an. »Setzen Sie sich«, sagte er. »Weil Sie es wьnschen«, sagte K., zog einen Sessel zum Nachttischchen und setzte sich. »Es schien mir, daЯ Sie die Tьr abgesperrt haben«, sagte der Advokat. »Ja«, sagte K., »es war Lenis wegen.« Er hatte nicht die Absicht, irgend jemanden zu schonen. Aber der Advokat fragte: »War sie wieder zudringlich?« »Zudringlich?« fragte K. »Ja«, sagte der Advokat, er lachte dabei, bekam einen Hustenanfall und begann, nachdem dieser vergangen war, wieder zu lachen. »Sie haben doch wohl ihre Zudringlichkeit schon bemerkt?« fragte er und klopfte K. auf die Hand, die dieser zerstreut auf das Nachttischchen gestьtzt hatte und die er jetzt rasch zurьckzog. »Sie legen dem nicht viel Bedeutung bei«, sagte der Advokat, als K. schwieg, »desto besser. Sonst hдtte ich mich vielleicht bei Ihnen entschuldigen mьssen. Es ist eine Sonderbarkeit Lenis, die ich ihr ьbrigens lдngst verziehen habe und von der ich auch nicht reden wьrde, wenn Sie nicht eben jetzt die Tьr abgesperrt hдtten. Diese Sonderbarkeit, Ihnen allerdings mьЯte ich sie wohl am wenigsten erklдren, aber Sie sehen mich so bestьrzt an und deshalb tue ich es, diese Sonderbarkeit besteht darin, daЯ Leni die meisten Angeklagten schцn findet. Sie hдngt sich an alle, liebt alle, scheint allerdings auch von allen geliebt zu werden; um mich zu unterhalten, erzдhlt sie mir dann, wenn ich es erlaube, manchmal davon. Ich bin ьber das Ganze nicht so erstaunt, wie Sie es zu sein scheinen. Wenn man den richtigen Blick dafьr hat, findet man die Angeklagten wirklich oft schцn. Das allerdings ist eine merkwьrdige, gewissermaЯen naturwissenschaftliche Erscheinung. Es tritt natьrlich als Folge der Anklage nicht etwa eine deutliche, genau zu bestimmende Verдnderung des Aussehens ein. Es ist doch nicht wie bei anderen Gerichtssachen, die meisten bleiben in ihrer gewцhnlichen Lebensweise und werden, wenn sie einen guten Advokaten haben, der fьr sie sorgt, durch den ProzeЯ nicht behindert. Trotzdem sind diejenigen, welche darin Erfahrung haben, imstande, aus der grцЯten Menge die Angeklagten, Mann fьr Mann, zu erkennen. Woran? werden Sie fragen. Meine Antwort wird Sie nicht befriedigen. Die Angeklagten sind eben die Schцnsten. Es kann nicht die Schuld sein, die sie schцn macht, denn – so muЯ wenigstens ich als Advokat sprechen – es sind doch nicht alle schuldig, es kann auch nicht die richtige Strafe sein, die sie jetzt schon schцn macht, denn es werden doch nicht alle bestraft, es kann also nur an dem gegen sie erhobenen Verfahren liegen, das ihnen irgendwie anhaftet.
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»Hast du mich angemeldet?« fragte er Leni. »Natьrlich«, sagte diese, »er wartet auf dich. LaЯ jetzt Block, mit Block kannst du auch spдter reden, er bleibt doch hier.« K. zцgerte noch. »Sie bleiben hier?« fragte er den Kaufmann, er wollte dessen eigene Antwort, er wollte nicht, daЯ Leni vom Kaufmann wie von einem Abwesenden sprach, er war heute gegen Leni voll geheimen Дrgers. Und wieder antwortete nur Leni: »Er schlдft hier цfters.« »Schlдft hier?« rief K., er hatte gedacht, der Kaufmann werde hier nur auf ihn warten, wдhrend er die Unterredung mit dem Advokaten rasch erledigen wьrde, dann aber wьrden sie gemeinsam fortgehen und alles grьndlich und ungestцrt besprechen. »Ja«, sagte Leni, »nicht jeder wird wie du, Josef, zu beliebiger Stunde beim Advokaten vorgelassen. Du scheinst dich ja gar nicht darьber zu wundern, daЯ dich der Advokat trotz seiner Krankheit noch um elf Uhr nachts empfдngt. Du nimmst das, was deine Freunde fьr dich tun, doch als gar zu selbstverstдndlich an. Nun, deine Freunde oder zumindest ich, tun es gerne. Ich will keinen anderen Dank und brauche auch keinen anderen, als daЯ du mich liebhast.« »Dich liebhaben?« dachte K. im ersten Augenblick, erst dann ging es ihm durch den Kopf: »Nun ja, ich habe sie lieb.« Trotzdem sagte er, alles andere vernachlдssigend: »Er empfдngt mich, weil ich sein Klient bin. Wenn auch dafьr noch fremde Hilfe nцtig wдre, mьЯte man bei jedem Schritt immer gleichzeitig betteln und danken.« »Wie schlimm er heute ist, nicht?« fragte Leni den Kaufmann. »Jetzt bin ich der Abwesende«, dachte K. und wurde fast sogar auf den Kaufmann bцse, als dieser, die Unhцflichkeit Lenis ьbernehmend, sagte: »Der Advokat empfдngt ihn auch noch aus anderen Grьnden. Sein Fall ist nдmlich interessanter als der meine. AuЯerdem aber ist sein ProzeЯ in den Anfдngen, also wahrscheinlich noch nicht sehr verfahren, da beschдftigt sich der Advokat noch gern mit ihm. Spдter wird das anders werden.« »Ja, ja«, sagte Leni und sah den Kaufmann lachend an, »wie er schwatzt! Ihm darfst du nдmlich«, hierbei wandte sie sich an K., »gar nichts glauben. So lieb er ist, so geschwдtzig ist er. Vielleicht mag ihn der Advokat auch deshalb nicht leiden, Jedenfalls empfдngt er ihn nur, wenn er in Laune ist. Ich habe mir schon viel Mьhe gegeben, das zu дndern, aber es ist unmцglich. Denke nur, manchmal melde ich Block an, er empfдngt ihn aber erst am dritten Tag nachher. Ist Block aber zu der Zeit, wenn er vorgerufen wird, nicht zur Stelle, so ist alles verloren und er muЯ von neuem angemeldet werden. Deshalb habe ich Block erlaubt, hier zu schlafen, es ist ja schon vorgekommen, daЯ er in der Nacht um ihn gelдutet hat. Jetzt ist also Block auch in der Nacht bereit. Allerdings geschieht es jetzt wieder, daЯ der Advokat, wenn es sich zeigt, daЯ Block da ist, seinen Auftrag, ihn vorzulassen, manchmal widerruft.« K. sah fragend zum Kaufmann hin. Dieser nickte und sagte, so offen wie er frьher mit K. gesprochen hatte, vielleicht war er zerstreut vor Beschдmung: »Ja, man wird spдter sehr abhдngig von seinem Advokaten.« »Er klagt ja nur zum Schein«, sagte Leni. »Er schlдft ja hier sehr gern, wie er mir schon oft gestanden hat.« Sie ging zu einer kleinen Tьr und stieЯ sie auf. »Willst du sein Schlafzimmer sehen?« fragte sie. K. ging hin und sah von der Schwelle aus in den niedrigen fensterlosen Raum, der von einem schmalen Bett vollstдndig ausgefьllt war. In dieses Bett muЯte man ьber den Bettpfosten steigen. Am Kopfende des Bettes war eine Vertiefung in der Mauer, dort standen, peinlich geordnet, eine Kerze, TintenfaЯ und Feder sowie ein Bьndel Papiere, wahrscheinlich ProzeЯschriften. »Sie schlafen im Dienstmдdchenzimmer?« fragte K. und wendete sich zum Kaufmann zurьck. »Leni hat es mir eingerдumt«, antwortete der Kaufmann, »es ist sehr vorteilhaft.« K. sah ihn lange an; der erste Eindruck, den er von dem Kaufmann erhalten hatte, war vielleicht doch der richtige gewesen; Erfahrungen hatte er, denn sein ProzeЯ dauerte schon lange, aber er hatte diese Erfahrungen teuer bezahlt. Plцtzlich ertrug K. den Anblick des Kaufmanns nicht mehr. »Bring ihn doch ins Bett!« rief er Leni zu, die ihn gar nicht zu verstehen schien. Er selbst aber wollte zum Advokaten gehen und durch die Kьndigung sich nicht nur vom Advokaten, sondern auch von Leni und dem Kaufmann befreien. Aber noch ehe er zur Tьr gekommen war, sprach ihn der Kaufmann mit leiser Stimme an: »Herr Prokurist«, K. wandte sich mit bцsem Gesicht um. »Sie haben Ihr Versprechen vergessen«, sagte der Kaufmann und streckte sich von seinem Sitz aus bittend K. entgegen. »Sie wollten mir noch ein Geheimnis sagen.« »Wahrhaftig«, sagte K. und streifte auch Leni, die ihn aufmerksam ansah, mit einem Blick, »also hцren Sie: es ist allerdings fast kein Geheimnis mehr. Ich gehe jetzt zum Advokaten, um ihn zu entlassen.« »Er entlдЯt ihn!« rief der Kaufmann, sprang vom Sessel und lief mit erhobenen Armen in der Kьche umher. Immer wieder rief er: »Er entlдЯt den Advokaten!« Leni wollte gleich auf K. losfahren, aber der Kaufmann kam ihr in den Weg, wofьr sie ihm mit den Fдusten einen Hieb gab. Noch mit den zu Fдusten geballten Hдnden lief sie dann hinter K., der aber einen groЯen Vorsprung hatte. Er war schon in das Zimmer des Advokaten eingetreten, als ihn Leni einholte. Die Tьr hatte er hinter sich fast geschlossen, aber Leni, die mit dem FuЯ den Tьrflьgel offenhielt, faЯte ihn beim Arm und wollte ihn zurьckziehen. Aber er drьckte ihr Handgelenk so stark, daЯ sie unter einem Seufzer ihn loslassen muЯte. Ins Zimmer einzutreten, wagte sie nicht gleich, K. aber versperrte die Tьr mit dem Schlьssel.
»Ich warte schon sehr lange auf Sie«, sagte der Advokat vom Bett aus, legte ein Schriftstьck, das er beim Licht einer Kerze gelesen hatte, auf das Nachttischchen und setzte sich eine Brille auf, mit der er K. scharf ansah. Statt sich zu entschuldigen, sagte K.: »Ich gehe bald wieder weg.« Der Advokat hatte K.s Bemerkung, weil sie keine Entschuldigung war, unbeachtet gelassen und sagte: »Ich werde Sie nдchstens zu dieser spдten Stunde nicht mehr vorlassen.« »Das kommt meinem Anliegen entgegen«, sagte K. Der Advokat sah ihn fragend an. »Setzen Sie sich«, sagte er. »Weil Sie es wьnschen«, sagte K., zog einen Sessel zum Nachttischchen und setzte sich. »Es schien mir, daЯ Sie die Tьr abgesperrt haben«, sagte der Advokat. »Ja«, sagte K., »es war Lenis wegen.« Er hatte nicht die Absicht, irgend jemanden zu schonen. Aber der Advokat fragte: »War sie wieder zudringlich?« »Zudringlich?« fragte K. »Ja«, sagte der Advokat, er lachte dabei, bekam einen Hustenanfall und begann, nachdem dieser vergangen war, wieder zu lachen. »Sie haben doch wohl ihre Zudringlichkeit schon bemerkt?« fragte er und klopfte K. auf die Hand, die dieser zerstreut auf das Nachttischchen gestьtzt hatte und die er jetzt rasch zurьckzog. »Sie legen dem nicht viel Bedeutung bei«, sagte der Advokat, als K. schwieg, »desto besser. Sonst hдtte ich mich vielleicht bei Ihnen entschuldigen mьssen. Es ist eine Sonderbarkeit Lenis, die ich ihr ьbrigens lдngst verziehen habe und von der ich auch nicht reden wьrde, wenn Sie nicht eben jetzt die Tьr abgesperrt hдtten. Diese Sonderbarkeit, Ihnen allerdings mьЯte ich sie wohl am wenigsten erklдren, aber Sie sehen mich so bestьrzt an und deshalb tue ich es, diese Sonderbarkeit besteht darin, daЯ Leni die meisten Angeklagten schцn findet. Sie hдngt sich an alle, liebt alle, scheint allerdings auch von allen geliebt zu werden; um mich zu unterhalten, erzдhlt sie mir dann, wenn ich es erlaube, manchmal davon. Ich bin ьber das Ganze nicht so erstaunt, wie Sie es zu sein scheinen. Wenn man den richtigen Blick dafьr hat, findet man die Angeklagten wirklich oft schцn. Das allerdings ist eine merkwьrdige, gewissermaЯen naturwissenschaftliche Erscheinung. Es tritt natьrlich als Folge der Anklage nicht etwa eine deutliche, genau zu bestimmende Verдnderung des Aussehens ein. Es ist doch nicht wie bei anderen Gerichtssachen, die meisten bleiben in ihrer gewцhnlichen Lebensweise und werden, wenn sie einen guten Advokaten haben, der fьr sie sorgt, durch den ProzeЯ nicht behindert. Trotzdem sind diejenigen, welche darin Erfahrung haben, imstande, aus der grцЯten Menge die Angeklagten, Mann fьr Mann, zu erkennen. Woran? werden Sie fragen. Meine Antwort wird Sie nicht befriedigen. Die Angeklagten sind eben die Schцnsten. Es kann nicht die Schuld sein, die sie schцn macht, denn – so muЯ wenigstens ich als Advokat sprechen – es sind doch nicht alle schuldig, es kann auch nicht die richtige Strafe sein, die sie jetzt schon schцn macht, denn es werden doch nicht alle bestraft, es kann also nur an dem gegen sie erhobenen Verfahren liegen, das ihnen irgendwie anhaftet.
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